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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 05.06.2000
Aktenzeichen: 13 U 202/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 254
BGB § 278
BGB § 823
BGB § 831
BGB § 833
BGB § 840 Abs. 3
Mithaftung, Mitverschulden, Dritter, Tiergefahr, Tierhalter, Verrichtungsgehilfe, Pferd, Reitpferd

§§ 254, 278, 823, 831, 833, 840 Abs. 3 BGB

Leitsatz:

Die Haftung des Tierhalters ist entsprechend § 840 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn bei der Entstehung des Schadens lieben der Tiergefahr ein schuldhaftes Verhalten eines Dritten mitgewirkt hat, das dem Anspruchsteller gem. § 278 oder § 831 BGB zuzurechnen ist.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 202/99 OLG Hamm 15 O 97/99 LG Münster

Verkündet am 05. Juni 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück und die Richter am Oberlandesgericht Zumdick und Pauge

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Anschlußberufung der Klägerin gegen das am 16. August 1999 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung des Beklagten wird das genannte Urteil abgeändert.

Das Versäumnisurteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 29. April 1999 wird aufgehoben.

Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Rechtsstreits trägt die Klägerin, mit Ausnahme der Kosten der Säumnis des Beklagten im Termin vom 29. April 1999; diese trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Klägerin in Höhe von 31.783,19 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Schadensersatz wegen der Verletzung des Hengstes. Der Beklagte ist Halter des Wallachs. Beide Pferde befanden sich am 14. Juni 1998 in der Reitanlage des Vaters der Klägerin, des Zeugen B. Als dieser den Hengst aus der Box durch das Gebäude zur Reithalle führte, kam er an dem Wallach vorbei, der in einem zwischen den Ställen und der Reithalle befindlichen Vorraum angebunden war.

Die Klägerin, die behauptet, Eigentümerin des Hengstes gewesen zu sein, trägt vor, der Wallach habe parallel zu dem Gang mit dem Kopf entgegen der Gehrichtung ihres Vaters gestanden, sich plötzlich gedreht und dann mit der Hinterhand vorne links gegen die Vorderhand des Hengstes geschlagen. Durch den Schlag seien die Beuge- und die Strecksehne der linken Vorderhand an- bzw. durchschlagen worden. Der Hengst habe stark geblutet und sofort begonnen zu lahmen. Er sei noch am selben Abend in die Tierklinik gebracht worden, habe jedoch nicht gerettet werden können. Er sei eingeschläfert worden. Der Hengst habe einen Wert von mindestens 30.000 DM gehabt. Diesen Betrag verlangt die Klägerin ersetzt. Daneben macht sie Behandlungskosten von 5.863,02 DM, Kosten für Hufbeschlag während des Klinikaufenthaltes in Höhe von 313,20 DM, Fahrtkosten von noch 240 DM, Pflegekosten von 1.500 DM (30 Tage à 50 DM) und pauschale Unkosten von noch 40 DM abzüglich des Schlachterlöses von 673 DM geltend (insgesamt 34.783,19 DM). Der Haftpflichtversicherer des Beklagten hat vorprozessual 3.000 DM gezahlt.

Der Beklagte behauptet, der Zeuge B sei Eigentümer des Hengstes gewesen. Er bestreitet den Unfallhergang und wendet Mitverschulden des Zeugen ein. Er beziffert den Wert des Hengstes, den die Parteien in erster Instanz mit 27.500 DM unstreitig gestellt hatten, mit näheren Darlegungen auf höchstens 15.000 DM. Die Pflegekosten hält er für übersetzt.

Im Termin vom 29. April 1999 ist gegen den Beklagten ein Versäumnisurteil ergangen, gegen das er rechtzeitig Einspruch eingelegt hat. Das Landgericht hat sodann Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen B. Mit dem angefochtenen Urteil hat es das Versäumnisurteil teilweise abgeändert. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten. Die Klägerin hat Anschlußberufung eingelegt. Sie macht geltend, das Landgericht habe sich zu ihren Lasten um 200 DM verrechnet.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Klägerin persönlich gehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen sowie durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und in der Sache begründet. Die Anschlußberufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die Klage ist nicht begründet.

I.

Die Klägerin kann von dem Beklagten aus keinem rechtlichen Grund Schadensersatz in Höhe von 31.783,19 DM verlangen. Ein Anspruch aus Tierhalterhaftung gem. § 833 Satz 1 BGB ist nicht gegeben.

1.

Die Klägerin war, wie ihr Vater, der Zeuge R B glaubhaft bekundet hat, Eigentümerin des Hengstes

Für das Eigentum der Klägerin und die Richtigkeit der Zeugenaussage sprechen die von der Klägerin in Kopie überreichte Zuchtbescheinigung (Abstammungsnachweis) vom 9. April 1997, die als Fax überreichte Bescheinigung des Verkäufers B vom 3. April 2000 sowie die schriftliche Erklärung des Pferdeausbilders K vom 25. März 2000.

2.

Der Hengst ist durch den Wallach verletzt worden. Das hat der Zeuge B bestätigt. Er hat das Ausschlagen selbst zwar nicht beobachtet, doch sind keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, daß die Verletzung auf andere Weise eingetreten sein könnte. Der Zeuge hat bekundet, der Hengst sei hochgegangen, als er den Wallach passiert habe. Dann habe der Hengst geblutet. Die Aussage ist glaubhaft. Soweit das Landgericht protokolliert hat, der Hengst sei hochgegangen, als er, der Zeuge, sich mit dem Kopf etwa in Höhe des Schweifes des Pferdes befunden habe, liegt offensichtlich ein Versehen vor, denn der Zeuge ist nach eigenen Angaben nicht in Höhe des Schweifes des von ihm geführten Pferdes gegangen. Nach seiner Aussage vor dem Senat ist der Hengst hochgegangen ist, als er, B, sich in Höhe des Schweifes des Wallachs befand.

3.

Der Verletzungserfolg beruht auf der von dem Wallach ausgehenden Tiergefahr. Die durch das Ausschlagen eines Pferdes hervorgerufene Verletzung eines anderen Pferdes ist eine typische Auswirkung der Tiergefahr eines Pferdes (BGH VersR 1975, 515, 516).

4.

Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin ist jedoch gem. § 254 BGB ausgeschlossen.

a)

Bei der Verletzung ihres Pferdes hat die von diesem ausgehende Tiergefahr mitgewirkt. In einem solchen Fall findet § 254 BGB entsprechende Anwendung (BGH NJW 1962, 1199). Das Ausschlagen des Wallachs wurde die Nähe des Hengstes hervorgerufen. Damit hat sich die Tiergefahr des Hengstes ausgewirkt, denn das Ausschlagen war Bestandteil der Kommunikation zwischen beiden Pferden (vgl. Oexmann, Die zivilrechtliche Haftung des Pferdehalters, Rdn. 66).

b)

Die Klägerin muß sich darüber hinaus ein mitwirkendes Verschuldens ihres Vaters entgegenhalten lassen. Ihr Vater war Verrichtungsgehilfe im Sinne von § 831 BGB, als er das Pferd für sie in der Reithalle bewegen wollte. Eine Mithaftung entfiele nur dann, wenn sich der Zeuge objektiv verkehrsgerecht verhalten hätte. Das ist nicht der Fall. Der Zeugen B hat den Hengst in zu geringem Abstand an dem angebundenen Wallach vorbeigeführt.

Wie der Sachverständige im Senatstermin ausgeführt hat, war der Zwischenraum in jedem Fall zu gering. Hat der Zeuge B den Hengst in dem Vorraum geradeaus weitergeführt, betrug der Zwischenraum nur etwa 0,65 m. Hat er im Vorraum einen kleinen Bogen nach rechts gemacht, hat der Abstand zwischen beiden Pferden bei 1 bis 1,5 m gelegen. Auch ein solcher Abstand hätte nicht genügt, denn es ist bekannt, daß Pferde bis zu 2,5 m ausschlagen können (vgl. Senatsurt. v. 28. Oktober 1974, 13 U 156/73, VersR 1975, 865). Im Hinblick darauf ist besondere Sorgfalt erforderlich, wenn ein Pferd an einem anderen, welches auf einer Stallgasse angebunden ist, vorbeigeführt wird. Befindet sich - wie hier - kein Pfleger bei dem angebundenen Pferd, der dieses zur Seite klopfen und daneben stehen bleiben kann, ist der Führer des vorbeizuführenden Pferdes gehalten, anzuhalten, das angebundene Pferd laut anzurufen, gegebenenfalls mit erhobener Hand zur Seite zu drängen und erst dann sein Pferd weiterzuführen. Eine solche Abwehrbewegung des Führenden mit Zurufen ist, wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, Standard und hätte im Streitfall den Schadenseintritt vermutlich verhindert. Diese Sorgfalt war auch dann erforderlich, wenn, wie die Klägerin behauptet, der Hengst keine "Hengstmanieren" hatte und beide Pferde sich kannten und "verstanden". Zwar kann Hengstgebaren in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, doch sind heute Hengste im Reitbetrieb und auf Turnieren häufig anzutreffen. Daß Pferde eines Stalles gegenüber einem Hengst wegen seiner typischen Hengstgebaren manchmal ungehalten sind und zu aggressivem Verhalten neigen, ist nach den Erfahrungen des Sachverständigen eher selten. Unabhängig davon dürfen Pferde im allgemeinen nicht zu dicht aneinander vorbeigeführt werden (LG Bonn, VersR 1978, 1176).

c)

Der von dem Wallach des Beklagten ausgehenden unfallursächlichen Tiergefahr kommt gegenüber der Mitverursachung des Zeugen gem. § 254 BGB keine Bedeutung zu. Der im Umgang mit Pferden vertraute Zeuge B hat fahrlässig gehandelt, weil er die in einem Reitstall gebotene Sorgfalt außer acht gelassen hat. Er haftet der Klägerin gegenüber gem. § 823 Abs. 1 BGB wegen schuldhafter Eigentumsverletzung. Ist neben demjenigen, welcher nach § 833 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist - wie hier der Beklagte -, ein Dritter für den Schaden verantwortlich - wie hier der Zeuge B -, so ist in ihrem Verhältnisse zueinander der Dritte gem. § 840 Abs. 3 BGB allein verpflichtet. Die Vorschrift gilt unmittelbar zwar nur im Innenverhältnis von mehreren Gesamtschuldnern. Sie ist nach ihrem Sinngehalt jedoch entsprechend anzuwenden auf die gem. § 254 BGB vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile (vgl. BGH, VersR 1995, 90 = r+s 1995, 45 und OLG Hamm, NJW-RR 1990, 794). Das gilt zu Lasten des Anspruchstellers jedenfalls dann, wenn dieser sich ein Mitverschulden eines Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen anrechnen lassen muß. Ob die Vorschrift auch im Zwei-Personen-Verhältnis zu Lasten des Anspruchstellers entsprechend anzuwenden ist, also dann, wenn nur der Anspruchsteller und der in Anspruch genommene Tierhalter beteiligt sind und den Anspruchsteller ein Mitverschulden trifft (vgl. Lemcke, r+s 1995, 55), ist hier nicht zu entscheiden.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 344 ZPO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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